DER BESCHEIDENE GENIUS

DER BESCHEIDENE GENIUS

Georg Neumann

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DASS EINMAL EIN SAAL IM EHRWÜRDIGEN JAZZ-INSTITUT BERLIN NACH IHM BENANNT WIRD: NEIN, DAS HÄTTE GEORG NEUMANN ZU LEBZEITEN NICHT GEWOLLT. SELBST ALS ER LÄNGST ZU DEN BEDEUTENDSTEN PERSÖNLICHKEITEN IM MIKROFONBAU ZÄHLTE, SEINE IDEEN UND PRODUKTE ÜBERALL AUF DER WELT FÜR BEGEISTERUNG SORGTEN – DER SCHWEIGSAME ERFINDER BLIEB STETS BESCHEIDEN UND LIEBER IM HINTERGRUND.

Wer war also der Mann, dessen Innovationen ganze Generationen von Toningenieuren und Musikern begleiteten – und immer noch begleiten? Eine Anekdote, die Georg Neumann wunderbar beschreibt, geht so: Nach dem Krieg findet sein Sohn Ralph einen Akku mit zwei Zellen, wovon eine beschädigt ist. »Mein Vater wollte unbedingt den Akku haben. Schließlich machte er einen Vorschlag: ›Ich nehme auch bloß die beschädigte Zelle, du kannst die heile behalten.‹« Das Behutsame, Zurückhaltende auf der einen Seite und die Neugier, der Erfindergeist auf der anderen: das macht Neumanns Wesen aus. Die defekte Zelle markiert übrigens den Beginn seiner Überlegungen zur gasdichten Herstellung von Nickel-Cadmium-Akkus – ein technologischer Meilenstein.

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Georg Neumann (links) im Labor mit Erich Kühnast, einem langjährigen Mitarbeiter der damaligen Georg Neumann & Co.

Diese Leidenschaft, technische Hürden nicht nur zu überwinden, sondern fundamental neue Wege zu gehen, zieht sich durch sein ganzes Leben. Vom bahnbrechenden Reisz-Mikrofon über hochpräzise, elektroakustische Messinstrumente, richtungsweisende Schallplattenschneidetechnik, bis hin zur Stabylit-Zelle – Georg Neumanns Einfallsreichtum kennt keine Kategorien. Was immer ihn reizt, seinen Ehrgeiz weckt, dessen nimmt er sich an. Im Stillen, am liebsten in seinem eigenen Laboratorium, verschiebt er dabei regelmäßig die Grenzen des technischen Machbaren.

Seine Schöpfungen verändern nicht nur eine ganze Branche nachhaltig, sie zahlen sich auch für sein Unternehmen aus: Neumann floriert in den 1950er und 1960er Jahren; die Mitarbeiter sind hochmotiviert. Ihr Chef hat einen leisen Führungsstil: Ein sanftes Lenken aus dem Hintergrund; ein gezieltes Anregen, wie man Probleme lösen könnte: »Macht es doch mal so oder so oder nehmt doch mal ein anderes Material«, erinnern sich frühere Begleiter. Er ist aufmerksam, macht seinen Mitarbeitern gern eine Freude und hat – besonders für technische Probleme – immer ein offenes Ohr. Die Arbeitsatmosphäre ist so gut, dass viele ihr gesamtes Berufsleben bei Neumann verbringen; die zehnjährige Firmenangehörigkeit wird denn auch augenzwinkernd als Bestehen der Probezeit gefeiert.

Neumann hätte ob seiner großen Erfolge mehr als stolz auf sich sein können, doch »dazu war er viel zu bescheiden«, sagt seine Tochter Ingrid. Eines der wenigen Hobbys, die er sich gönnt, ist der Wassersport. Im Bootsverein lernt er seine spätere Frau Elly kennen; sie wird mit ihrer offenen, lebhaften Art für den schweigsamen Neumann ein Fenster zur Welt und seine engste Vertraute. Die familiäre Harmonie wird zu einem wichtigen Fundament für die Arbeit des genialen Erfinders.

Georg Neumann veränderte die Elektroakustik seiner Zeit derart grundlegend – vielleicht fände er es ja doch bescheiden, nur einen kleinen Saal nach ihm zu benennen.

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Georg Neumann (Mitte) erhält den Emil-Berliner-Preis, links: Peter Burkowitz (Deutsche Grammophon), rechts: Günter Lützkendorf (damaliger Neumann-Geschäftsführer)