Puppenspieler Christian Bahrmann

Puppenspieler Christian Bahrmann

»Komm doch Kleiner, Ich beiß dir in die Nase!«

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Wenn Christian Bahrmann nicht gerade an der nächsten Staffel der erfolgreichen Kinderserie »KiKANiNCHEN« arbeitet, steht er in seinem Homestudio und krächzt. Und johlt. Und brummt. Zu Besuch im Studio eines modernen Puppenspielers zwischen Musikproduktion, Live-Bühne und Mediaproduktionen aus einem ehemaligen Stall.

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Der Mann steht in einer kleinen Kammer und zischt und grunzt, grollt und kichert, fleht und bebt. Seine Stimme ist erst Wolf, dann Ratte, dann eine süße Maus und kurz darauf eine unnachahmlich stolze Prinzessin. Korrektur: Nervige Prinzessin. Was sich an Dynamikumfang, Plosiven, Zungenschlägen und feinen Bei- und Gurrlauten in einer Stimme verdichten kann – es säuselt und donnert hier in maximaler Dichte in den Mikrofonkorb. Dann ist es vorbei. Wir sind mitten auf dem Land, Häuser werden seltener, der Handyempfang auch. »Ich glaube, wir haben‘s«, sagt ein gut gelaunter Christian Bahrmann. Spricht’s, geht in den Nebenraum, wirft ein paar Scheite Holz in den bullernden Ofen und setzt sich an seinen Arbeitsplatz. Wir sind mitten in seinem Studio, Proberaum, Atelier, Kommunikationszentrum, Büro und Produktionszentrum.

Die Stimme übrigens würde (wahrscheinlich) jedes zweite Kind im deutschsprachigen Raum sofort wiedererkennen. Bahrmann ist »Der Christian«, ein Moderator im »KiKANiNCHEN«, dem mehrfach ausgezeichneten TV-Erfolgsformat für Vorschulkinder (international: »Dibidoo«). Bis zu 120 Produktionstage im Jahr steckt das Team in die mitterweile 12 Staffeln. Die Fanpost kommt längst nicht mehr nur aus Deutschland, sondern auch aus Venezuela, Sydney, Thailand oder Großbritannien. Aber das ist nicht alles. Bahrmann ist diplomierter Puppenspieler, Schauspieler und Sänger. Er tourt mit eigenem Programm, singt CD-Alben für Kinder ein oder produziert im Auftrag öffentlicher Träger Videos, die Corona- Regeln kindgerecht erklären. Gerade hat er eine Blindenfassung für einen Film eingesprochen. Viele dieser Produktionen und Stücke beginnen hier, in der Weite Mecklenburg-Vorpommerns. Die ersten Skizzen und auch viele Teile der Produktion nimmt Bahrmann im eigenen Studio auf, leitet sie zur Postproduktion weiter oder arbeitet remote mit Regie, Studios und Kollegen. »Das BCM 705 musste sich schon einiges anhören«, lacht der 46-Jährige. Die Möglichkeit, von Zuhause zu produzieren, war früher »ein Stück Lebensqualität, eine künstlerische Freiheit – seit dem vorigen Jahr ist es für unsere Branche, für unsere Kunst zugleich ein Rettungsanker. Wir können auf hohem Niveau weiterarbeiten, in anderen Formaten und Projekten, so lange unsere Bühnen nicht öffnen können«, sagt Bahrmann. Und nein, bitte, er sei auch nicht der beste Sänger, »das können andere besser. Ich bin, im Kern, ein Geschichtenerzähler.«

Zwei der wichtigsten Arbeitsgeräte, auf die sich Bahrmann beim Geschichten erzählen verlässt, sind das BCM 104 und BCM 705. Es war Christian Riegel, Tonmeister aus dem renommierten Tonbüro Berlin, der ihn schmunzelnd auf einen klitzekleinen Denkfehler hinwies. Die beiden kennen sich aus gemeinsamen Produktionen, Riegel verantwortet unter anderem Mischungen für TV und Kinoproduktionen und meinte: »Wenn du einen geilen Ton willst, wie du ihn von uns gewohnt bist, dann brauchst du eine souveräne Abhöre, dann musst du aufrüsten. Und starke Mikrofone mit schlechten Kopfhörern abzuhören... das macht überhaupt keinen Sinn.« Zugleich sollten es nicht riesige Kisten sein, die den gemütlichen Arbeitsplatz zustellen. Schon war die Entscheidung klar: Die KH 80 DSP passen in den Raum so gut wie an die Anforderungen und Projekte. »Was ich dadurch an Produktionspotenzial gewonnen habe, auch in den Monaten der Pandemie, das ist enorm«, sagt Bahrmann.

Neu dazugekommen ist ein Paar NDH 20 als Studiokopfhörer: »Der Sound ist sensationell, die fühlen sich toll an und lassen sich stundenlang tragen. Vor allem habe ich meinen Referenzsound jetzt quasi zum Mitnehmen. Das ist nicht nur akustisch sinnvoll, sondern auch hygienisch: Niemand hat Stress mit Desinfektion. Ich fahre auf Produktion, wir singen etwas ein – und ich merke sofort, wenn etwas anders klingt. Und anschließend muss niemand Ohrpolster reinigen. Ich nehme die Kopfhörer auch in Synchronstudios mit, zum Beispiel bei Hörspielproduktionen. Damit habe ich den Referenzsound auf mein Werkzeug, meine Stimme, direkt dabei.«

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Es ist nicht allein die Stimme, an die Bahrmann höchste Maßstäbe anlegt. Wer ihm in seiner Werkstatt im Nirgendwo zuhört, versteht schnell, dass es ihm Ernst ist mit seiner wichtigsten Zielgruppe, den Kindern. Das grundlos Alberne, Überdrehte, kindlich Naive? Ist nicht seine Form. Er spielt nicht für Kinder, sondern mit ihnen, in ihre Welt hinein und aus ihr heraus. Seine frühere Bühne in Berlin, der »Prenzlkasper« – sie lebte vom Kontakt, vom Dialog mit den Kleinsten im Publikum. Sie sind in seinen Stücken nicht Gäste, sondern Teil des Stückes. Daraus entstanden Dialoge, Improvisationen und eine Spielfreude, die alle Jahrgänge im Saal begeistert – vor und hinter der Bühne, mit sehr alten und brandneuen Stoffen. Denn Mama und Papa, Oma und Opa – auch sie kommen gerne. Sehr gerne.

Dabei wäre Bahrmann beinahe Lehrer geworden. »An dem Studiengang bin ich sozusagen abgeprallt«, erinnert er sich heute schmunzelnd. Und sagt dann, etwas leiser: »Viele Lehrer müssen auf ihrer Bühne schreien, um gehört zu werden. Ich flüstere – und die Kinder kleben an jedem Wort. Schau an. Ein Vermittler zwischen der Kinder- und Erwachsenenwelt bin ich heute auch, nur eben auf meine Weise.«

Nach drei Semestern brach Bahrmann das Lehramtsstudium ab und bewarb sich an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch. Seine Bewerbung rappte er vor der Kommission – zu »Mr. Wendal« von Arrested Development. Rückblickend überrascht das niemanden.

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Bahrmann wuchs im früheren Osten Berlins auf. Unter seinem Bett baute ihm sein Vater eine Puppenbühne. Da war Christian 4 Jahre alt. Mit acht arbeitete er als Aushilfe im Puppentheater des legendären Harald Preuss. »Ich war da der Junge für den Einlass, Techniker, Roadie, Puppenhalter und Auszubildender irgendwie in einem«, erinnert sich der Schauspieler heute. Es war eine Art Grundausbildung in der Magie dieser Bühne. »In der damaligen DDR hatte das Puppenspiel ohnehin eine ganz eigene Würde, einen richtigen Stellenwert. Jeder Bezirk hatte quasi seine eigene Bühne.«

In den letzten Schuljahren kam dann die Wende, Deutschland wurde wiedervereint – eine gute Gelegenheit, sich einmal beim ehemaligen Klassenfeind umzusehen. Bahrmann bewarb sich als Austauschschüler für ein Schuljahr in den USA – und landete 1991 in Minnesota. »Das war nicht ganz das Amerika aus dem Fernsehen«, erinnert sich Bahrmann lachend. Zum Augenöffner wurde das Jahr trotzdem. »Ich war in einer Speech Class und wir lernten, wie man eine Rede vor Publikum hält. Und desto mehr Publikum ich hatte, desto mehr Freude hatte ich.« Sein Lehrer gab ihm einen Rat mit nach Deutschland: »Christian – du musst auf die Bühne.« Und so ging es in Berlin weiter: Er moderierte Schülerfeste und probierte sich in Theatergruppen. Nach dem Abitur und einigen Semestern »auf der falschen Spur« stand Bahrmann dann vor der Kommission der Ernst Busch, rappte seine guten Gründe – und wurde angenommen.

Im dritten Studienjahr reihten sich Talent und glückliche Fügungen aneinander: »Und plötzlich waren wir mit gro- ßen Produktionen und Puppenspiel zu Gast am Staatstheater in Luzern, spielten dann in Stuttgart, später in München und Berlin. Und plötzlich hast du in deinem letzten Studienjahr auf den größten Bühnen des Landes gespielt.«

Zur Diplomprüfung gehörte auch ein Solostück. Bahrmann spielte einen Klassiker, wie es auch im Hause Preuss damals üblich war: Das tapfere Schneiderlein. Inszenierte selbst, produzierte selbst und spielte alle Rollen ein. Denn natürlich war das Puppenspiel sein Kernfach. Und wenig überraschend arbeitete er schon während des Studiums als Tutor für Puppenführungstechnik. Bis heute gehören Klassiker wie Peter und der Wolf oder Rotkäppchen zum festen Repertoire. Ob das heutzutage nicht etwas... langweilig sei? Der Mann, der im Fernsehen mit einem computeranimierten Kaninchen interagiert, hebt verwundert die Augenbrauen. Dann dreht er sich um und holt Metallboxen aus einem großen Regal. In jeder Metallbox liegen handgefertigte Puppen. An der Hand von Bahrmann werden blitzschnell Klassiker lebendig: Der Wolf, Peter, Rotkäppchen und der gute alte Kasper. Nicht als ausgeleierte Allgemeinplätze aus alten Geschichten, sondern als äußerst dialogfreudige Charaktere. Die Figuren wechseln blitzschnell, der große Mann tritt zurück, wird zum Gefäß für ihre Persönlichkeiten. Stimme, Bewegung, alles wandelt sich. »Das ist eben nicht langweilig«, sagt er nachher, »das ist richtiges Theater. Die Amateure wissen nicht, wie man Puppen zum Leben erweckt, was ein Sprech- und Atemimpuls ist. Eben all dieses Handwerk.«

Viel von diesem Handwerk verfeinerte Bahrmann nach dem Studium bei seinen Tourneen und im mobilen Puppentheater. Später gründete er den Prenzlkasper als festen Spielort. 2009 folgte das Engagement als Moderator für das KiKANiNCHEN.

Mit Herzblut engagiert sich »der Christian« nebenbei für das landesweit größte Puppenspielfestival; natürlich muss es dieses Jahr online stattfinden. Nebenan ragt eine große Puppenbühne aus den Schatten. Bahrmann richtet das nächste Stück ein, diesmal natürlich als Videoproduktion. Wahrscheinlich muss auch das gute alte BCM 705 wieder herhalten, das schon so viele Stimmen gehört hat. Das rote »On Air«-Schild über der Tür flammt auf. Die drei Kinder von Bahrmann wissen: Papa jetzt nicht stören. Von drinnen hören wir ein Kichern und Bellen. Es geht wieder los, irgendwo im weiten Land Mecklenburg-Vorpommerns. Wo irgendwo im nirgendwo Kultur entsteht, die Kinder wie Erwachsene kichern, glucksen und staunen lässt.

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