Selbst im eher konservativen Wiener Konzerthaus gab es dafür Standing Ovations. Sein oft intimer, manchmal rauer und immer wieder wandelbarer Sound wurde besonders auf dem jüngsten Album All Melody von der Kritik gelobt. Zwei Jahre hat Frahm daran gearbeitet, das heimische Studio verlassen und ein Großstudio nach Rundfunkstandard renoviert. Und alles darin dann auf Welttournee mitgenommen, Großorgel inklusive. Warum seine Aufnahmen nicht selten mit WD-40 und Schraubenzieher beginnen, wieviel Demut im Studiobau steckt, welche Dinge Mut machen, erzählt Nils Frahm im Studiobesuch.
Wir stehen an einem Ort, der nicht leicht zu beschreiben ist. Draußen gleißt die Sonne, im Studio ist es eher dunkel, fast schummerig. Nils Frahms Hände spielen gekonnt mit der Kaffeemaschine, einer anspruchsvollen, glänzenden Hoheit. Routiniert entstehen zwei Café Cortado. Sie schmecken anders als alles, was am Bahnhof und im Barista-Shop um die Ecke empfohlen würde. Frahm schmunzelt. »Meine Lieblingsbeschäftigung sind Dinge, die weit weg sind von dem, was homogenisiert ist. Das betrifft sogar die Milch, die ich in meinen Kaffee tue.« So, wie er es sagt, klingt es eher nach »Aufmerksam sein für die Dinge« als nach »Das Beste wollen«. Frahm: »Ich habe früh erlebt, dass es sich nicht immer lohnt, dahin zu rennen, wo alle hinwollen. Das habe ich bei vielen Entscheidungen im Studio ähnlich gemacht. Ich habe keinen Minimoog hier stehen, kein Fender- XY, ich habe diese ganzen Standards nicht. Haben doch alle. Alle haben ein U 47. Ich habe keins. Es geht mir darum, eine andere Geschichte zu erzählen, etwas bloßzustellen: Dass du deine Kraft als Künstler nur entfalten kannst, nur gut klingst, wenn du dieses oder jenes hast oder mit diesem Preamp arbeitest. Das ist Unsinn. Ich weiß nicht, wovor die Leute Angst haben, gerade bei solchen Banalitäten wie Vocal-Aufnahmen. Es geht nur um einen Vocal-Take und es gibt 1.000 tolle Sachen, die man machen kann, nicht nur die eine. So habe ich mein Studio nie aufgesetzt: Wartend auf dieses eine. Lieber etwas, das es noch nicht gibt. Jetzt bin ich schon fast ein wenig gelangweilt von dem perfekten Studio. Natürlich ist es ein sehr charakteristisches Rundfunkstudio, aber auch ein Schritt Richtung Homogenisierung und Normalisierung.«
Nils Frahm gestikuliert, der Fotograf sucht währenddessen Licht. Es gibt nicht viel. Nur kleine Lampen, meist indirekt und weich aufgefangen von Holzvertäfelungen. Frahm nickt und erwähnt Jun’ichiro Tanizakis Klassiker »Lob des Schattens«; wie Licht und Schatten die Größe und Funktion eines Raumes definieren und Spannung schaffen. Grelles Einerlei schätze er nicht: »Beim Musik machen ist es besser, wenn es nicht so hell ist. Du bist eh mehr auf deine Ohren fokussiert. Der Stuhl da vorne zum Beispiel. Er bekommt etwas Zeichnung von dem Licht oben und von der Lampe am Tisch. Hätte er einfach nur so ein Raumlicht, wäre er völlig unplastisch. Langweilig.« Wie hört wohl jemand, der so sieht?